MFG - JETZT ERST RECHT! ECHT?
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St. Pöltens gute Seite

JETZT ERST RECHT! ECHT?

Text Johannes Reichl
Ausgabe 05/2019
Nicht schon wieder ein Kommentar zum Ibiza-Gate, mag mancher einwerfen, aber ja, auch als kleines regionales Medien-Pflänzchen kommt man um den Skandal, und um etwas anderes handelt es sich nicht – noch dazu um einen handfesten, großen, ja geradezu epischen – nicht umhin. Zumal sich die Symptomatik Macht-Machtmissbrauch-Größenwahn ja nicht nur auf der großen Politbühne, sondern auch in den Niederungen der (politischen) 1. Klasse West/Mitte abspielt, wie der Fall des verurteilten ehemaligen Ortschefs von Obritzberg zeigt. (s. S. 8)
Und da macht es – im politisch-moralischen Sinne – zunächst auch gar keinen allzu großen Unterschied, ob in dem einen Fall gewisse Delikte schon strafrechtlich abgeurteilt sind, während im anderen „nur“ das Gesprochene schwerwiegend im Raum steht.
Im MFG-Interview meinte die Sprachwissenschaftlerin Christiane Pabst, dass „wir sagen dürfen, was wir denken – im Bewusstsein, was wir damit tun“, kurzum, dass Sprache auch ein Akt des Handelns ist. Wenn wir in diesem Sinne Sartres „Der Mensch ist, was er tut“ zu Ende denken, heißt dies im Umkehrschluss auch „Der Mensch ist, was er sagt“ – und hat dafür eben Verantwortung zu übernehmen.  
Und damit kommen wir zu einer falschen (und die wahren Täter zu Unrecht entlastenden) Schlussfolgerung, die dieser Tage manchen allzu leicht von den Lippen geht: „So sind ja alle Politiker!“ Da möchte ich die staatstragenden Worte des Bundespräsidenten „So sind wir nicht“ aufgreifen und diesen verbalen Schutzschild auch über den Berufsstand der Politiker halten, denn NEIN, so sind eben nicht alle Politiker! Nicht jeder – und da kommen wir zur Ursünde von Ibiza – hätte sich überhaupt mit einer angeblichen Oligarchin getroffen. Und nicht jeder, der auf den Staat Österreich vereidigt ist und hochfeierlich gelobt hat, das Beste für Land und Leute zu wollen, hätte quasi seine eigene Großmutter verscherbelt, nur um mehr Macht und Einfluss für sich und seine Partei zu gewinnen. In dem Fall hieß die Oma eben Kronenzeitung, Unabhängigkeit des Journalismus, STRABAG mit 11.000 Mitarbeitern, Wasser ... Und das von einem – das potenziert das Ganze zur üblen Farce – der sich immer als Robin Hood des kleinen Mannes inszeniert und gegen die „Eliten“, gegen „die da oben“ gewettert hat, die es sich ja nur richten und sich auf „unsere“ Kosten bereichern. Was für ein Schlag ins Gesicht der Bürger, v. a. jener, die diesem Mann vertraut und ihn gewählt haben.
Umso absurder, ja geradezu unverfroren ist dann das Festhalten, ja Penetrieren des Slogans „Jetzt erst recht!“ Jetzt erst recht was? Noch mehr Korruptionsanfälligkeit? Noch mehr Verrat? Noch mehr b‘soffene G‘schichten? Was soll das bitte heißen, jetzt erst recht?
Diese Chuzpe, die Täter-Rolle in ihr Gegenteil verkehren zu wollen, ist für mündige Bürger wirklich nur schwer zu ertragen. Sie zeugt von null Einsicht, null Reue, null Demut vor dem Staat und dem Amt sowie einer Geisteshaltung, die kein persönliches Unrechtsempfinden zu kennen scheint.
Nein, die freiheitlichen „Ibizaner“ sind beileibe keine Opfer, sondern glasklare Täter. Und zwar ganz egal, ob sie dabei in eine Falle getappt sind oder nicht. Von etwaigen anderen Treffen, vielleicht mit echten Mittelsmännern, echten Oligarchen, wissen wir ja nichts. Wer weiß, was da vielleicht noch ausgemauschelt wurde? Potenziell waren die Herren zum Verrat bereit und haben sprachlich gehandelt wie sie gehandelt haben. Das kann man nicht klein-, schon gar nicht wegreden.
Deshalb darf ich alle, die der „jetzt erst  recht“-Masche auf den Leim zu gehen drohen, zu einem Gedankenexperiment einladen: Würdet ihr auch so viel Nachsicht aufbringen, wenn der Enttarnte Kurz, Rendi-Wagner, Kogler oder Pilz hieße? Wärs dann auch nur eine b‘soffene G‘schicht – ganz abgesehen davon, dass im Wein bekanntlich die Wahrheit liegt. Hand aufs Herz, liebe Freunde des gesunden Menschenverstandes: Jetzt erst recht – echt?